Vor einigen Jahren ging ein Entführungsfall durch die Medien.
Damals war zwar ein Tatverdächtiger schon gefasst worden, das Entführungsopfer aber noch nicht befreit.
Die Polizei hatte guten Grund anzunehmen, dass das Opfer in einer hilflosen Lage war und möglicherweise sterben würde.
Da der mutmaßliche Täter aber den Ort, an dem das Opfer versteckt war, nicht preisgab, griff der ermittelnde Polizist zum letzten Mittel und drohte dem Verdächtigen Folter an.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass der Fall damals groß durch die Medien ging (auch wenn die Details nach all der Zeit in meiner Erinnerung etwas verschwommen sind).
Wenn ich mich recht erinnere machte der Polizist, als guter deutscher Beamter, damals sogar einen Aktenvermerk über sein Vorgehen.
Dem Entführungsopfer konnte damit nicht mehr geholfen werden. Ich meine mich zu erinnern, dass es zu diesem Zeitpunkt schon tot war, was der Polizist aber natürlich nicht wissen konnte.
Und der Polizist musste sich im Nachgang rechtlich dafür verantworten, dass er dem Verdächtigen Folter angedroht hatte.
Nun hätte ich persönlich nicht an der Stelle dieses Polizisten stehen wollen. Und ich habe größten Respekt davor, dass er zu seinem Handeln stand, obwohl er damals schon gewusst haben musste, dass es für ihn negative Konsequenzen haben wird.
Ich weiß auch noch, dass die Volksseele in mir das empörend fand.
Wie kann das sein, dass der Polizist deshalb bestraft wird?
Heiligt der Zweck nicht in solch einem Fall die Mittel?
Wenn das Opfer damit hätte gerettet werden können, wäre die Folterdrohung dann nicht gerechtfertigt gewesen?
Diese Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt, die stellt sich sehr häufig – häufiger, als uns bewusst ist. Oder eher: Die Frage, ob ein guter Zweck auch ein ungutes Mittel heiligt.
Und diese Entscheidung ist gar nicht so leicht, selbst bei den folgenden (ganz hypothetischen) Beispielen: Wie würdest du jeweils entscheiden?
Wenn du mit einem Fingerschnippen alle Krebserkrankungen auf der Welt heilen könntest, aber dafür würde ein Chinese tot umfallen – würdest du schnippen?
Wenn 100 Chinesen tot umfallen würden?
Und wenn es alle Menschen in China wären?
Was, wenn die Erkrankung dich selbst oder jemanden aus deinem engen Umfeld betreffen würde?
Oder nehmen wir ein anderes Beispiel, eins das (in abgemilderter Form) oft durch die Gesetzgebungsdiskussionen und dann unweigerlich auch durch die Gerichte geistert:
Wenn du allen Bürgern in deinem Land einen Chip einpflanzen lassen könntest, der jede ihrer Handlungen überwacht und aufzeichnet, und der all diese Daten für den Staat zugänglich macht, und du könntest damit nur eine schwere Straftat verhindern – würdest du die Chips einpflanzen lassen?
Würdest du es tun, wenn du damit alle Morde verhindern könntest?
Oder alle Fälle von Kindesmissbrauch und Vergewaltigung?
Was, wenn du selbst von solch einem Verbrechen betroffen wärst, oder jemand der dir nahe steht?
Alle diese Fragen eint eins – nämlich die Tatsache, dass wir alle an unterschiedlichen Stellen die Grenze ziehen würden.
Manche Zwecke sind dir wichtiger als mir. Und manche Mittel sind für mich leichter zu ertragen als für dich.
Aber wenn wir die Beispiele immer weiter treiben (so wie ich es oben getan habe), dann ist für die allermeisten Menschen irgendwo die Grenze erreicht, die sie nicht überschreiten würden.
Jeder und jede von uns hat moralische Grenzen – Mittel, die wir auch für den heiligsten Zweck nicht mehr einsetzen würden.
Und umgekehrt hat jede und jeder von uns Zwecke, die uns so wichtig sind, dass uns (fast) jedes Mittel dafür recht ist.
Nur: Wo ziehen wir dann die Grenze?
Wer sagt mir, dass meine moralischen Grenzen gerechtfertigt sind und nicht deine?
Wer sagt dir, dass deine heiligen Zwecke wirklich so heilig sind, dass sie jedes Mittel rechtfertigen?
Kann es überhaupt irgendeinen Zweck geben, der wirklich alle Mittel heiligt?
Und vielleicht die schwierigste Frage… Bleibt ein guter und richtiger Zweck gut und richtig, wenn er mit abscheulichen Mitteln erreicht wird?
Vielleicht ist es auch einfach so, dass uns als (fehlbaren) Menschen eben manchmal die falschen, die unredlichen Mittel zuerst einfallen – und wir dann keine anderen Handlungsalternativen mehr sehen können.
In Situationen, die uns als einzelne Menschen betreffen, können und müssen wir immer selbst für uns entscheiden, welche Mittel wir einsetzen, welche Mittel noch gerechtfertigt sind, um einen Zweck zu erreichen – so wie es der Polizist für sich in diesem Entführungsfall getan hat.
Und da wir alle nur fehlbare Menschen sind, werden du oder ich eben manchmal Mittel für einen Zweck einsetzen, die andere Menschen ablehnen – oder die wir selbst im Nachhinein, mit etwas mehr Abstand, eigentlich nicht für gut halten.
Aber spätestens für uns alle zusammen, als Gesellschaft, in der wir alle die Grenze an unterschiedlichen Stellen ziehen würden… als Gesellschaft, die doch eigentlich besser sein sollte als die reine Summe ihrer Teile… da stellt sich dann unweigerlich die Frage:
Wenn ein Zweck wirklich gut und richtig ist, sollte er es dann nicht auch wert sein, dass wir nach guten und richtigen Mitteln suchen, mit denen wir ihn erreichen können?
Vielleicht sollten wir uns, als einzelne Personen und als Gesellschaft, wieder mehr auf den guten Zweck konzentrieren, den wir erreichen wollen – und von diesem Startpunkt aus nach guten und richtigen Mitteln suchen.
Foto: Javier Allegue Barros bei Unsplash
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