Manchmal habe ich Momente, da frage ich mich, was ich auf dieser Welt eigentlich bewirke.
Es ist nicht so, dass ich mich nicht bemühe, Gutes zu tun und etwas weiter zu geben.
Aber ich bin weder Mutter Theresa noch Martin Luther King, und so erschöpft sich mein „Gutes“ meist in kleinen Gesten.
Zum Beispiel bin ich grundsätzlich freundlich zu überarbeiteten Kassiererinnen, auch wenn die abends in der Stoßzeit nicht mehr wirklich gut aufgelegt sind.
Doch gelegentlich zweifle ich schon daran, ob das überhaupt etwas bewirkt.
(Schließlich ist die gleiche Kassiererin in der nächsten Woche wieder genauso schlecht aufgelegt. Viel verändert haben kann ich also nicht, oder?)
Haben kleine Gesten überhaupt einen Sinn?
Doch manchmal gibt es Momente, in denen mir klar wird, dass auch eine kleine Geste Großes bewirken kann.
Einen solchen Gänsehautmoment hatte ich vor ein paar Tagen – und das ausgerechnet beim ziellosen Surfen im Internet Lesen von Online-Nachrichten.
An dem Tag wurde zufällig der amerikanische Schauspieler und Komedian Patton Oswalt von einem anderen Twitternutzer beschimpft.
(Der Name sagt dir nichts? Das Gesicht aber vielleicht schon – kennst du die Fernsehserie „King of Queens“?)
Nun ist das an für sich keine überraschende Neuigkeit – nirgendwo beschimpft es sich so leicht wie in der vermeintlichen Anonymität.
Und nachdem Patton Oswalt mit seiner Meinung zu Donald Trump nicht hinter dem Berg hält, sind gelegentliche Beschimpfungen eigentlich zu erwarten.
An diesem Tag jedenfalls war ein anderer Twitternutzer namens Michael Beatty ziemlich schlecht aufgelegt und ließ das an Oswalt aus, und zwar mit so Schmuckstückchen wie „Mir ist gerade klar geworden, warum ich so glücklich war, dass du in ‚Blade Trinity‘ gestorben bist.“.
Echte Internetliebe also – und der potentielle Beginn einer wunderbaren Eskalation.
Doch was von Patton Oswalt zurückkam, waren keine Gegenbeleidigungen, und auch keine Rechtfertigungen.
Stattdessen schickte Oswalt den folgenden Tweet an seine 4,47 Millionen Follower:
Aw, man. This dude just attacked me on Twitter and I joked back but then I looked at his timeline and he’s in a LOT of trouble health-wise. I’d be pissed off too. He’s been dealt some shitty cards — let’s deal him some good ones. Click and donate — just like I’m about to. https://t.co/6zRdZ430WG
— Patton Oswalt (@pattonoswalt) January 24, 2019
(„Oh Mann. Dieser Typ hat mich grade auf Twitter angegriffen und ich habe zurückgewitzelt, aber dann habe ich mir seine Timeline angesehen, und er hat eine MENGE Ärger mit seiner Gesundheit. Ich wäre auch angepisst. Das Leben hat ihm ein paar Scheißkarten ausgeteilt – lasst uns ihm ein paar Gute geben. Klickt und spendet – so wie ich es machen werde.“)
Denn Oswalt hatte Beattys Tweet nicht nur gelesen, sondern sich auch die Mühe gemacht zu sehen, wer hinter dem Tweet steckt – und dort steckte ein amerikanischer Kriegsveteran ohne ausreichende Krankenversicherung, mit Diabetes, der aufgrund einer Blutvergiftung im Koma lag und zweimal wiederbelebt werden musste – und der keine Chance hatte, die Arztrechnungen selbst zu bezahlen.
Und aus dieser kleinen Geste von Oswalt wurde etwas ganz wunderbar Großes.
Nicht nur kam aus den Spenden genügend Geld für die Arztrechnungen zusammen (und noch so viel mehr, dass Michael Beatty Geld an andere Menschen in Not weitergeben konnte).
Nicht nur, dass unter den Twitterfollowern von Oswalt eine große Debatte um Mitgefühl und menschliche Wärme ausbrach, aus der heraus noch viele andere kleine Gesten entstanden sind.
Nicht nur, dass diese Geschichte um die Welt ging und damit sicher noch viele, viele weitere Menschen inspiriert hat.
Am erstaunlichsten ist, was mit Michael Beatty selbst geschah – demselben Menschen, der Oswalt kurz vorher noch beschimpft und beleidigt hatte.
I want to thank everyone who came to my aid with generous outpourings- and also to @pattonoswalt without whom I would not be the recipient of so much love and support. I'm not a man who ever cries but I had to wait to send this. And to quote Stuart on Big Bang "meat tonight"! pic.twitter.com/r4Kc9zYk7E
— Michael Beatty (@MichaelBeatty) January 24, 2019
(„Ich möchte allen danken, die mir mit großzügigen Gaben zu Hilfe gekommen sind – und auch Patton Oswalt, ohne den ich nicht so viel Liebe und Unterstützung bekommen hätte. Ich bin kein Mann, der jemals weint, aber ich musste warten, bevor ich das hier veröffentlichen konnte. […]“)
Michael Beatty ist, zumindest in seinem Twitteraccount, ein veränderter Mensch. Er hat sich nicht nur bei Oswalt entschuldigt, sondern postet seither Aufrufe für Mitgefühl und Verständigung.
Er hat immer noch konservative Ansichten und vertritt die auch. Aber er ist bereit, anderen deren Ansichten zuzugestehen, und viele Dinge zu hinterfragen.
Und er trägt die Geschichte weiter: unter anderem mit einem neu gestarteten Podcast namens „One-on-One: American Humanity“.
In solchen Gänsehautmomenten weiß ich dann wieder, warum auch kleine Gesten viel wert sind.
Und natürlich werde ich der muffigen Kassiererin auch weiterhin freundlich einen guten Abend wünschen. Man weiß ja nie…
Foto: George Pagan III
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