Meine Kinder werden größer – und ich genieße das sehr.
Ich genieße unsere Diskussionen, in denen ich ihnen nicht immer das Wasser reichen kann. Ich liebe ihre Ideen, ihre Pläne, ihre Begeisterung und ihre Charakter, die manchmal so anders sind als meiner.
Ich bin unendlich stolz auf sie, weil es so tolle Menschen sind. Und ich freue mich sehr darauf, dass ich diese wunderbaren Menschen in meinem Leben haben durfte und auch weiterhin haben darf.
Und trotzdem gibt es da manchmal Momente, in denen ich mehr Trauer und Bedauern spüre als Freude und Stolz.
Lange Zeit dachte ich, dass das ganz normal ist. Schließlich werden die Kinder größer, und als Mütter haben wir gefälligst unseren Babies, Kleinkindern, Grundschulkindern nachzutrauern. Genetisch programmiert sozusagen.
Aber irgendetwas an diesem Gedanken hat sich für mich nie stimmig angefüllt, und in den letzten Tagen ist mir aufgegangen, was das ist:
Ich trauere nicht diesen Zeiten hinterher.
(Ratgeber, es ist mir egal, was ihr sagt. Meine Kinder waren die besten Babies, Kleinkinder, Grundschulkinder der Welt: Wir hatten wunderbare, anstrengende, verrückte, schöne, stressige, ausgelassene und erschöpfende Zeiten miteinander, die ich nicht missen wollte – aber es ist auch gut, dass sie vorbei sind und jetzt etwas anderes kommt!)
Was ich in diesen Momenten der Trauer bedauere, ist dass ich nie die Mutter war, die ich in meinem Idealbild hätte sein können.
Nun war mir schon immer klar, dass ich nie die Mutter sein werde, die gern in Zeitschriften dargestellt wird. Zum Beispiel wusste ich schon seit dem Kindergarten, dass ich Basteln hasse, und das hat sich auch mit der Geburt meiner Kinder nicht geändert. ;-)
Obwohl ich mir also nie die Illusion gemacht habe, dass ich das allgemein gebräuchliche Idealbild einer Mutter jemals erfüllen würde (oder wollte), hat sich aber wohl doch in meinem Kopf ein Bild davon eingeschlichen, wie ich als Mutter sein könnte – wenn ich denn eine perfekte Version von mir wäre.
Und dieses Bild ist es, von dem ich mich so langsam verabschieden muss – denn perfekt war ich sicher nie, und je größer meine Kinder werden, desto mehr schwinden die Gelegenheiten, bei denen ich es als Mutter noch sein könnte.
Während es bei mir, jetzt im Moment, dieses Bild von mir selbst als perfekter Mutter ist, ist es bei dir jetzt grade vielleicht etwas ganz anderes, dass du loslassen musst.
Das Bild von dir als perfektem Mann, perfekter Tochter, perfektem Freund, perfekter Kollegin.
Das Bild von dir als sportlich, gesund, extrovertiert, beliebt, als Rockstar, Vorstand eines DAX-Unternehmens oder Weltumseglerin.
Was auch immer es ist, du hast es vielleicht lange bei dir getragen, gehegt und gepflegt.
Und wenn du perfekt gewesen wärst… dann hättest du dieses Bild vielleicht erfüllen können.
Dann wären die Tage so gewesen, wie du sie dir erträumt hattest. Dann hättest du immer richtig reagiert, wärst immer konsequent gewesen, immer liebevoll.
Du hättest genau das getan, was dein perfektes Ich getan hätte.
Aber du bist nicht perfekt. Ich bin nicht perfekt. Und genau das ist es, was uns auf unsere eigene Art perfekt macht – weil es uns Raum gibt zum Dazulernen.
Raum zum Entwickeln, zum Einfach-da-Sein, Raum um unser Bestes zu tun, auch wenn dieses Beste nie an unser Idealbild von uns selbst heranreichen wird.
Diese Träume davon, diese Idealbilder, wie du in deinem Leben und deinem Alltag sein könntest, das sind eigentlich nur wunderbar verpackte Geschichten, die deine Innere Kritikerin dir erzählt.
Geschichten darüber, wie du nicht gut genug bist. Es nie warst. Und nie sein wirst.
Das perfide an diesen Geschichten ist, dass sie uns vordergründig Hoffnung geben: Seht her, so werde ich es morgen ganz bestimmt machen, und dann wird mein Tag endlich perfekt sein – dann werde ich endlich perfekt sein.
Aber eigentlich setzen sie einen Maßstab, denn wir nie, niemals, nicht mal an unseren besten Tagen erfüllen können.
Und deshalb sind sie keine Hoffnungsträger, sondern Unterdrücker.
Wir tragen diese Geschichten mit uns, so lange es irgend geht. Denn sie loszulassen ist schmerzhaft – in diesem Moment müssen wir uns endgültig eingestehen, dass wir nie perfekt waren und es auch nie werden.
Aber wenn wir uns darüber im Klaren sind, dass diese Geschichten von unserem perfekten Verhalten als Mutter, Chefin, Sportler, Sohn, Freund, Frau, … nur dazu da sind, uns nieder zu halten… vielleicht können wir sie dann ganz bewusst nach und nach loslassen?
Und zwar freiwillig. Und in Dankbarkeit für das was war, und was ist – anstatt in Trauer für das, was hätte sein können.
Welches Bild, welche Geschichte von dir trägst du mit dir herum, die du loslassen könntest?
Foto: Xan Griffin
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