Manchmal erhalte ich Rückmeldungen von Lesern, die einen Text von einer Seite aus beleuchten, oder in eine Richtung hin erweitern, an die ich vielleicht so noch gar nicht gedacht hatte.
Oft regen mich diese Rückmeldungen dann zu weiteren Texten an, denen man ihren Ursprung gar nicht mehr unbedingt ansieht.
Aus meinem Text „Wir müssen die Alten schützen“ hat sich solch ein wunderschöner Dialog ergeben.
Anstatt ihn in einen neuen Text zu verwandeln, möchte ich ihn einfach so, wie er ist, mit dir teilen – denn schöner könnte ich es sicher nicht sagen…
Eigentlich handelt es sich, ganz streng genommen, um zwei Dialoge, mit zwei Menschen, die zwar selbst noch nicht zu den „ganz Alten“ gehören, aber eben auch nicht mehr zu den ganz Jungen:
Zunächst erzählte mir ein Leser, dass ihn „Wir müssen die Alten schützen“ sehr an das Lied „Fast achtzig“ des Liedermachers und Schriftstellers Ulrik Remy erinnert.
Der Leser ist selbst inzwischen kurz davor, „fast achtzig“ zu sein – dieses Lied trägt er aber schon seit Jahrzehnten mit sich und in seinem Herzen. Er besitzt noch die alte Platte von Ulrik Remy, und obwohl er schon lange keine Schallplatten mehr hört, ist ihm dieses Lied immer im Kopf und im Herzen geblieben, und es gehört seitdem zu seinem eigenen, privaten Liederrepertoire.
In „Fast achtzig“ besang Ulrik Remy den Alltag älterer Menschen, die am Leben Anteil nehmen, aber eben doch bei vielem nicht mehr so richtig dabei sind.
„Fast achtzig, noch rüstig, und sehr interessiert, an allen Dingen dieser neuen Zeit…“
Besonders an die Zeile
„Da hat man nun als junger Mensch Sturm gesät, jetzt erntet man ein Vakuum“
hat mein Text diesen Leser erinnert. (Zu hören auch auf Ulrik Remys Webseite in diesem kurzen MP3-Ausschnitt aus „Fast achtzig“.)
Vielleicht spricht die Musik oder die Literatur von Ulrik Remy ja auch dich an?
Auf diesen Hinweis hin habe ich selbst Kontakt mit Ulrik Remy aufgenommen, der selbst inzwischen eher in dem Alter ist, dass er damals besungen hat. Ebenso wie es mich freut, wenn meine Texte in anderen Menschen nachklingen, so hat das auch ihn gefreut.
(Ja, das ist ein dezenter Hinweis – schreib mir gerne, wann immer du Gedanken zu meinen Texten hast!! ;-) )
Als Antwort hat er mir ein paar eigene Gedanken zu „Wir müssen die Alten schützen“ geschickt, die mich so sehr berührt haben, dass ich sie (mit freundlicher Genehmigung Ulrik Remys – danke!) hier auch für dich abdrucke:
Liebe Frau Becher,
Sehr herzlichen Dank für Ihre Nachricht und noch viel herzlicheren Dank für den Text auf Ihrer Website, der mir geradezu aus dem Herzen geschrieben ist.
In Ihrem Text steckt so viel Wahres und (aus meiner Sicht) ganz einfach Richtiges, dass es mir unmöglich ist, auf jeden Aspekt im Einzelnen einzugehen. Zwei Gedanken, die mir spontan in den Sinn kommen, möchte ich jedoch gern mit Ihnen teilen.
Der eine ist die bittere Erkenntnis, dass es viel leichter ist, Menschen auf eine billige und unmittelbare Nützlichkeit zu reduzieren, als diese Nützlichkeit sorgfältiger zu definieren. Ein langes und langsames Gespräch mit einem lebenserfahrenen Menschen ist nun einmal für jemanden, der schon alles weiss, eine harte Geduldsprobe – da ist es einfacher und handlicher, die Welt in Kategorien einzuteilen. Da weiss man doch. Und die einfachen Antworten sind allemal populärer als die komplexen (ganz abgesehen davon, dass sie meistens falsch sind).
Daran anschliessend: Die Beschäftigung mit der eigenen Sterblichkeit und, ganz generell, mit der Unidirektionalität der Zeit, ist vielen Menschen in den „zivilisierten“ Kulturkreisen ganz einfach unangenehm; warum sollte man sich damit beschäftigen, solange Wichtigeres (beruflicher Erfolg, wirtschaftliche Sicherheit, gesellschaftlicher Status) die ganze Aufmerksamkeit beansprucht? Wenn es dann so weit ist, dass es kein Ausweichen mehr gibt, steht man waffenlos und ziemlich dämlich da.
Achtsamkeit, Empathie, Respekt, genaues Hinsehen – all diese aufwendigen und lästigen Prozesse scheinen nur noch als Schlagworte Konjunktur zu haben. In Wirklichkeit, zumindest scheint es mir so, haben sie Platz gemacht für eine standardisierte „Fürsorge“, die den Einzelnen von der lästigen Pflicht befreit, sich selbst einzubringen. Dieses viel beschworene „Netz der sozialen Sicherheiten“, auf das sich die Eigenverantwortung so bequem abschieben lässt, ist letztlich das Netz, in dem man zappelt.
Ich wünsche Ihnen für Ihr wichtiges Tun alles Gute.
Mit herzlichen Grüssen,
Ulrik Remy
Wie gesagt, diese Gedanken haben mich so angesprochen, dass ich sie auch dir zugänglich machen wollte.
Mehr von Ulrik Remy kannst du hier auf seiner Webseite lesen und hören.
Zu meinem ursprünglichen Text und dieser daran anschließenden Email gibt es noch viele weitere Dinge zu sagen, und vieles in andere Richtungen weiterzudenken.
Magst du dich beteiligen?
Foto: Dennis Buchner bei Unsplash
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