Seit einigen Monaten wünschen mir auffallend viele Menschen, auch bei flüchtigen Kontakten, Gesundheit.
Oder genauer gesagt: Sie wünschen mir „Bleiben Sie gesund!“.
Strenggenommen ist das ja eigentlich gar kein Wunsch, sondern eher ein Kommando. Ein sprachlicher Imperativ.
Nun ist es nicht so, dass ich per se ein Problem damit hätte, gesund zu bleiben.
Trotzdem bin ich diesen Satz so langsam leid. Wie sehr ich ihn leid bin, wurde mir eigentlich erst gestern bewusst.
Da bekam ich nämlich eine Email von einer lieben alten Bekannten, von der ich schon sehr lange nichts mehr gehört hatte.
Und diese Frau wünschte mir doch tatsächlich am Ende dieser Email… nichts. Kein „Bleib gesund!“. Weder mit Punkt noch mit Ausrufezeichen. Zwar viele Grüße, aber nichts Gesundheitbezogenes.
Ein wenig kommt man da natürlich ins Grübeln. Wünscht die mir am Ende die Beulenpest an den Hals, weil sie das nicht schreibt?
Eigentlich war ich aber einfach nur erleichtert.
Denn ganz ehrlich, was antwortet man auf diesen Satz?
„Danke, ich wünsche dir auch eine gute Darmflora und eine gesegnete Verdauung“, weil inzwischen hinlänglich bekannt ist, welchen Einfluss eine gut funktionierende Darmflora auf die allgemeine Gesundheit und besonders auf das Immunsystem hat?
Eigentlich aber bin ich, wie gesagt, diesen Satz einfach leid. Ich mag ihn nicht mehr lesen oder hören, und schon gar nicht in der wohlgemeinten Befehlsform.
In manchen Fällen scheint er ja nur eine Höflichkeitsfloskel zu sein. So wie das allgegenwärtige „Wie geht’s dir“, auf das ja auch keiner so richtig eine Antwort haben will.
(Zum Glück. Ich habe meist auch überhaupt keine Lust, einem flüchtigen Bekannten auf dem Supermarktparkplatz zu erzählen, wie es mir jetzt grade wirklich geht.)
In manch anderen Fällen finde ich den gesundheitlichen Imperativ einfach nur übergriffig.
Denn was geht es das Kundencenter meiner Bank an, ob ich vorhabe, gesund zu bleiben?
In vielen Fällen aber habe ich den Eindruck, dass dieser Satz zu einer Art Geisterbahnfahrt geworden ist.
Man lässt sich für einige Momente auf diesen Satz ein und auf den schauderhaften Gedanken, dass „Es“ einen treffen könnte – in dem wohlig gruselnden Gefühl, dass ja eigentlich alles in Ordnung ist.
Dieser Satz wird zum Bungeesprung für den Nervenkitzel. Zum gedanklichen Spiel mit dem Feuer – auf das man sich überhaupt nur einzulassen traut, weil man genau weiß, dass der Feuerlöscher schon bereit steht.
Man denkt (mit bedenklichem Gesichtsausdruck) für zwei Sekunden an all die gesundheitlichen Horrordinge, die geschehen könnten – und legt sie dann schaudernd ad acta, um in die Wirklichkeit zurückzukehren, in der man gesund und munter auf dem Supermarktparkplatz steht.
Um Gesundheit geht es dabei schlussendlich gar nicht, sondern nur um einen schnellen Gefühlskick – um das erregende Hochgefühl nach dem Grusel der Geisterbahn.
Denn wenn es uns allen wirklich um unsere Gesundheit ginge…
… was würden wir dann tun?
Würden wir regelmäßiger Sport treiben? Mehr an die frische Luft und in die Sonne gehen? Aufhören zu rauchen? Mehr Gemüse essen, und dafür weniger Zucker? Endlich mit dem Yogakurs anfangen? Mehr Fermentiertes essen, weil die Milchsäurebakterien gut sind für unsere Darmflora?
Würden wir vielleicht aufhören, mit dem Feierabendbier in der Hand auf dem Balkon für die „systemrelevanten Helden“ in den Krankenhäusern und Pflegeheimen zu klatschen – und stattdessen Briefe an Minister und Abgeordnete schreiben, in denen wir bessere Arbeitsbedingungen und eine anständige Bezahlung für diese Helden fordern?
Zeigt die schiere Tatsache, dass wir kein einziges dieser Dinge tun, nicht ganz deutlich, worum es uns nicht geht – nämlich ganz sicher nicht um Gesundheit?
Und nein, wir sind (zum Glück!) alle keine Roboter, sondern Menschen. Keiner muss alle diese Dinge tun, bevor er über Gesundheit mitreden darf oder anderen von Herzen Gesundheit wünschen.
Aber wer nur den Nervenkitzel oder das wohlig-schaudernde Gruseln sucht, der möge einen Horrorfilm ansehen oder Stephen King lesen.
Denn die Kontakte, die wir mit anderen Menschen haben, die sind zu wertvoll, um sie für einen schnellen Gefühlskick zu missbrauchen.
Ich jedenfalls bin es leid, als Statistin in einem Gruselkabinett herzuhalten, nur damit jemand anderes sich kurzzeitig besser fühlen kann.
Und dem nächsten, der eine Konversation mit mir als Gesundheitsgeisterbahnfahrt benutzt, dem werde ich mein Rezept für selbst fermentierte Wildkräuter ans Herz legen.
Mit Nachdruck.
Schließlich wissen wir alle, dass eine gesunde Darmflora besonders wichtig ist für das Immunsystem. ;-)
Foto: Toa Heftiba bei Unsplash
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