In unserer Kultur ist es üblich, sich Ziele zu setzen. Berufliche Ziele, private Ziele, Entwicklungsziele, 3-Monats-Ziele und 3-Jahres-Ziele, …
Anscheinend kann man nie genug Ziele haben – schon im Kindergarten oder der Grundschule setzen sich Kinder unter Anleitung wohlmeinender Pädagogen Ziele.
Was dabei oft (bequemerweise) vergessen wird ist, dass vor dem Ziel auch ein Weg liegt.
(Schade eigentlich. Denn wenn ich meine Ziele einfach dadurch erreichen könnte, dass ich sie mir setze, dann würden mir da schon noch ein paar einfallen… ;-) )
Ich nenne das die „Zielfalle“. Denn dass vor dem Ziel auch ein Weg liegt, vergessen die meisten.
Jedenfalls ist es nicht nur angesagt, sich Ziele zu setzen – es ist auch wesentlich bequemer, als an den Weg zu denken.
Denn je glorreicher, heldenhafter und vor allem angenehmer das gesetzte Ziel ist, desto steiniger, undankbarer und beschwerlicher ist oft der Weg dahin.
Du willst ein IT-Unternehmen gründen und so reich werden wie Mark Zuckerberg oder Jeff Bezos? Milliarden verdienen, Vorträge halten, bewundert werden, tolle Menschen kennenlernen und die Welt verändern?
Ein schönes Ziel.
Der Weg dahin führt allerdings über harte Arbeit, viele Überstunden, nie wirklich freie Zeit. Außerdem durch Rückschläge, Misserfolge, Pleiten und Unsicherheiten.
Ach ja, und dass du wirklich am Ziel ankommst, ist auch nicht garantiert.
Du willst den Bikini(oder Badehosen)-Körper, inklusive Waschbrettbauch und 20 Kilo weniger auf der Waage? Dich endlich so fühlen wie ein Supermodel, Komplimente von Freunden und Arbeitskollegen bekommen, selbstbewusst und attraktiv sein?
Ein tolles Ziel.
Dann bist du sicher auch bereit, deine Ernährung komplett umzustellen. Jeden Tag Krafttraining und anderen Sport zu machen. Geld in ein Fitnessstudio, passende Bücher oder einen Personal Trainer zu investieren.
Und natürlich am nächsten Familiengeburtstag lächelnd auf Tante Erikas Sahnetorte zu verzichten.
Du willst ein besseres Verhältnis zu deinen Kindern und mehr Zeit mit ihnen verbringen? Nie mehr ein schlechtes Gewissen haben, weil die Kinder nicht immer zu ihrem Recht kommen, und die Zeit mit ihnen so richtig genießen?
Auch das ein hehres Ziel.
Und du hast dir sicher schon überlegt, woher du diese Zeit nimmst – das heißt im Klartext, was du sonst bleiben lässt.
Wirst du konsequent früher von der Arbeit nach Hause kommen, auch wenn dein Chef dann nicht begeistert ist?
Wirst du auf deine liebsten Fernsehserien verzichten, damit mehr Zeit für deine Familie übrig bleibt?
Ach ja, und natürlich bist du auch bereit, dein Verhalten deinen Kindern gegenüber zu überdenken und zu ändern – und es dann zu ertragen, dass sie trotzdem pampig, beleidigt oder verletzend sind…
Tja. Die Ziele klangen toll, oder?
Aber wenn du dir ganz ehrlich aufzählst, was der Weg dahin alles beinhaltet, dann willst du vielleicht doch nicht unbedingt IT-Milliardär werden. Der Waschbrettbauch wird sowieso überbewertet. Und mit deinen Kindern machst du doch eigentlich eh schon recht viel.
In allen drei Fällen bist du in die Zielfalle getappt – du hast das Ziel geplant, aber nicht den Weg.
Und wenn ich eine Wette darauf abschließen müsste, wie viele der auf diese Art geplanten Ziele erreicht werden, dann würde ich sagen: 0,0001%. Höchstens.
Da du nun aber bis hierher gelesen hast (Glückwunsch!) und dir jetzt über die Zielfalle im Klaren bist, kannst du den Spieß natürlich auch einfach umdrehen.
Anstatt dir Ziele vorzunehmen und die Zukunft zu planen, entscheidest du dich für einen Weg – und zwar für einen, den du auch gern gehen willst.
Das wird kein problemloser Weg sein.
Probleme und Herausforderungen gibt es überall. Und wenn ich dir glitzernde Einhörner und magische, schmerzfreie Wege versprechen würde, dann würdest du diese Webseite hoffentlich so schnell verlassen, wie du klicken kannst.
Stattdessen verspreche ich dir Probleme. Herausforderungen. Schmerzen. Rückschläge und Frustration.
Einfach weil all das ein ganz normaler Teil des menschlichen Daseins ist, den du nicht wegzaubern kannst.
Was du aber kannst ist, dir die Probleme auszusuchen, die du gerne hättest.
Du liebst Herausforderungen, Rückschläge spornen dich an, harte Arbeit schreckt dich nicht ab, und du kannst Menschen führen und Systeme organisieren?
Vielleicht solltest du doch dieses IT-Unternehmen gründen.
Du bist diszipliniert, liebst harte Workouts und Sport, achtest gern auf deinen Körper und deine Ernährung, und was Tante Erika sagt ist dir sowieso egal?
Dann her mit der Mitgliedschaft im Fitnessstudio!
Du merkst zunehmend, dass dich deine alten Ziele mit Karriere und Arbeit nicht mehr erfüllen? Du denkst immer wieder darüber nach, was du im Leben anders machen könntest, damit du wieder zufrieden bist? Und du hast festgestellt, dass du eigentlich mehr von deinen Kindern lernen kannst als sie von dir?
Dann solltest du tatsächlich deine Überstunden reduzieren – egal, was dein Chef denkt.
Spürst du den Unterschied in der Herangehensweise?
In allen Fällen wird es weiterhin Probleme geben. Auch Herausforderungen und Rückschläge.
Aber weil du dir den Weg (nicht das Ziel, sondern den Weg!) ausgesucht hast, der zu dir passt, kannst du auch diese Probleme ertragen und lösen.
Und den passenden Weg findest du über die Probleme, die sich dir auf diesem Weg stellen werden.
Such dir also nicht ein Ziel aus – sondern die Probleme, die du auf dem Weg lösen willst.
Wenn du dir alle Probleme und Herausforderungen auf einem Weg vorstellst, das Schlimmste, was dir passieren kann…
… und wenn du dann immer noch denkst „Ja, her damit, das kann ich schaffen, das klingt gut!“ – dann hast du deinen Weg gefunden.
Ach ja, dein Ziel…
Wenn du die richtigen Probleme gefunden hast, wirst du feststellen, dass das Ziel eigentlich gar nicht mehr so wichtig ist.
Zu diesem Text hat mich das Buch „The Subtle Art of Not Giving a F*ck: A Counterintuitive Approach to Living a Good Life“ von Mark Manson inspiriert, auf Deutsch „Die subtile Kunst des darauf Scheißens“.
Dieses Buch ist meine persönliche Entdeckung des letzten Jahres, und ich habe es schon mehrmals wieder gelesen und schon einige Male verschenkt.
Kurz: Von mir eine echte Kaufempfehlung – allerdings mit zwei Einschränkungen:
Du musst bereit sein, dir auch unbequeme Dinge sagen zu lassen. (Sonst investierst du das Geld lieber in einen Eisbecher, da ist es dann besser angelegt.)
Und du musst damit leben können, dass Mark auch sprachlich deutlich wird. Wenn dich das Schimpfwort im Titel schon stört, dann ist dieses Buch nicht gut für deinen Blutdruck…
Für alle anderen: „Die subtile Kunst des darauf Scheißens“.
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Foto: Ian Chen
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